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Das Taufkleid eines Kämpfers – Dorfmuseum Aldein

Was wird aus diesem Kind wohl werden? Diese Frage stellen sich viele Eltern, wenn sie ihr neugeborenes Kind zum ersten Mal in den Arm nehmen. In der katholischen Kirche war es bis herauf in die jüngste Vergangenheit üblich, ein Kind so früh wie möglich zu taufen, schon am Tag der Geburt oder tags darauf. Die jahrhundertelange, heute jedoch überwundene Lehre der Kirche, dass ein Kind, sollte es ungetauft sterben, nicht in den Himmel kommt, erfüllte viele Eltern mit Sorge über das Schicksal ihres Kindes. Die Kindersterblichkeit war hoch: In fast jeder Familie gab es ein Geschwisterchen, das in frühester Kindheit verstarb.

Im Leben vieler christlicher Familien hatte das Taufkleid eine besondere Bedeutung. Es wurde für alle Kinder der Familie verwendet und oftmals auch an die nächste Generation weitervererbt. Mancherorts wurden die Initialen der Kinder in das Taufkleid eingestickt. So wurde es zu einem Stück lebendiger Familiengeschichte.

Auch im Taufkleid von Luis Lintner, der als letztgeborenes Kind seiner Eltern am Schornhof im Lerch in der Gemeinde Aldein auf die Welt kam, wurden vor ihm die älteren Schorn-Geschwister zur Taufe getragen. Luis wurde am 25. Mai 1940 kurz vor Mitternacht geboren und am 26. Mai in der Aldeiner Pfarrkirche getauft.

Das Taufkleid ist seit urchristlicher Zeit fester Bestandteil der christlichen Taufliturgie. Der Apostel Paulus schreibt im Brief an die Galater: „Ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus (als Gewand) angelegt.“ (Gal 3,27) Im christlichen Verständnis liegt in der Taufe die Berufung zu einem Leben in der Nachfolge Jesu begründet. In seiner Jugend hat sich Luis mit seiner christlichen Berufung auseinandergesetzt. So ist in ihm der Wunsch gereift, Priester zu werden und später in die Mission zu gehen. Er wollte dabei das Evangelium nicht nur verkünden, sondern auch durch seinen sozialen Einsatz gegen Ungerechtigkeit und Armut bezeugen. Im Nordosten Brasilien hat er zehn Jahre lang bei den Kleinbauern im trockenen Sertão gewirkt und sie im Kampf gegen die Großgrundbesitzer unterstützt. Später hat er in den Elendsvierteln an den Stadträndern von Salvador da Bahia eine Pfarre geleitet und verschiedene soziale Projekte für Kinder, Jugendliche und Frauen ins Leben gerufen. Er wollte mit den Armen leben und ihre Lebensbedingungen teilen. Er hat sich auch der Gewalt gestellt, der „seine Armen“ tagtäglich ausgesetzt waren. Am 16. Mai 2002 wurde er schließlich selbst Opfer von Gewalt und unter bis heute nicht restlos aufgeklärten Umständen ermordet.

Luis Lintners Leichnam wurde nach Aldein überführt und am 24. Mai 2002 zur letzten Ruhe gebettet – einen Tag vor seinem Geburtstag, zwei Tage vor seinem Tauftag. So schloss sich ein Lebenskreis, den niemand erahnen konnte, als der kleine Luis 62 Jahre zuvor auf die Welt kam und in diesem Kleid getauft wurde.

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